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Auszug aus der Eröffnungsrede in der Galerie Ruhnke 2007

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Hubertus von der Goltz, liebe Claudia Berg!

Das habe ich gelesen: Das Konzept der Galerie Ruhnke besteht darin, insbesondere zeitgenössische abstrakte Kunst auszustellen. Heute also eine Ausnahme. Besonders ist heute alles. Ein Monumentalist begegnet einer Buchkünstlerin, beide lernen sich erst heute kennen, 35 Jahre Altersunterschied, ein weiser Künstler mit Westblick, Hamburg, Amerika, Chicago, eine junge Kupferstecherin mit Ostblick, Tianjin Academy of Fine Arts, China. Beide verbindet mindestens Italien und jetzt Potsdam. Claudia Berg ist hier unbekannt. Hubertus von der Goltz zu Hause. Er hat sich, soweit ich das beurteilen kann, mit der Wiederbelebung des ehemaligen Pferdelazaretts der Garde-Ulanen-Kaserne große Verdienste für Potsdam erworben. Aus zerfallenden Gebäuden entstand das Kunsthaus, nun ohne kranke Pferde, sondern als Ort für gesunde Kreativität und öffentlichen Diskurs.

Es muss nicht stimmen, aber für mich scheint es so, als würde Hubertus von der Golz mit leichter Hand, und vielleicht sogar zuerst unbemerkt, in städtebauliche Projekte, die der Strukturierung von Räumen und ihrer Verschönerung dienen sollen, einen zutiefst philosophischen Inhalt einschmuggeln. Denn, was so artistisch spielerisch in den Lüften jongliert, das ist ja nichts anderes, als das Gleichnis unserer Existenz, und zwar der Existenz des einmaligen Einzelnen, der eben, jeder für sich, kommend aus dem Nichts, in seiner Gratwanderung über dem Abgrund, zwischen Himmel und Erde, Schritt für Schritt, auf dem Weg zwischen den Zeiten, in Balance mit sich, mit Konzentration und Wagnis, eine Überquerung unternimmt, die sein Leben ist. Der Zuschauer wird nun so ganz nebenbei angeregt, sich doch, auch selbst, seines Woher und Wohin zu besinnen. Denn in den Arbeiten im Freien, die räumliche Zusammenhänge unverkleinert herstellen, ist es nicht nur der Gedanke, der uns berührt, sondern die Fallhöhe, 1:1, die uns in Schrecken setzt. Vorerst bangen wir für den Anderen. Aber wir sind es auch selbst. Dieser Schrecken ist mit soviel Humor vorgetragen und mit einer Distanz, die eben Kunst möglich macht, dass wir die Botschaft mit Fassung aufnehmen können. Die Katastrophe bleibt vorerst aus.

In der Galerie gibt es diese Fallhöhe vermutlich nicht. Ob vielleicht auch auf dem Dach in der Charlottenstraße 24 jener rastlose Leichtsinnige balancieren würde, konnte ich nicht wissen, als ich den Text schrieb.

Aber das Leben besteht nicht nur aus Kunst. Es ist auch dekadent zu glauben, Kunst und Leben könne man trennen. Claudia Berg ist eine ungewöhnliche Kupferstecherin, Druckerin und Malerin, sie ist aber auch die Mutter von zwei Kindern, Ehefrau, Köchin, Gärtnerin usw. usw. Die schönen Familienfotos im Katalog von Hubertus von der Goltz berühren mich ähnlich. Hier verwischen sich auf wunderbare Weise, für die Künstler selbst und für uns alle, die Grenzen zwischen Kunst und Leben.

Helmut Brade 6. Juli 2007