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Rede zur Eröffnung der Ausstellung Hubertus von der Goltz in der Galerie Peters-Barenbrock im Grand Hotel Kurhaus Ahrenshoop 2013

Wenn man in diese weißen und verhältnismäßig kleinen Galerieräume kommt und die Arbeiten Hubertus von der Goltz darin sieht, ist man erst einmal verunsichert. Denn die Skulpturen deuten räumliche Dimensionen an, in die wir als Zuschauer nicht passen: Wir werden dabei entweder winzig klein oder riesengroß je nach der Perspektive, die wir einnehmen. Beide Perspektiven sind wenig gemütlich. Sie entziehen den Boden unter den Füßen, als habe man sofort und ohne Vorbereitung in die Rolle des berühmten Gullivers zu schlüpfen und in Welten aufzugehen, die nicht kommensurabel sind.

Dem Missvergnügen zum Trotz, das hierbei aufkommen mag, tut es gut, sich von Zeit zu Zeit Derartiges vorzustellen. Die Phantasie, sich als einzelner oder mit wenigen anderen Menschen auf einem schmalen Pfad im leeren Universum halten zu müssen, der das, was er an Boden bietet, gnadenlos als Bewegungslinie vorschreibt diese metaphorische Phantasie kennen wir nicht nur aus dem Cyber Space mit seinen bunt ausgeschmückten Geschichten. Sie ist eigentlich allgegenwärtig und beschreibt die Schwierigkeit, sich im Leben zurechtzufinden und nicht zu versteigen, steht aber auch für die Gefahren, die unser aller Entfremdung von der Natur mit sich bringt.

Schon die Romantiker haben dieses Problem erkannt. Es ist vielleicht nicht abwegig daran zu erinnern, dass Caspar David Friedrichs Landschaften von seinen kritischen Zeitgenossen als unheimlich naturfern empfunden und abgelehnt wurden. Mit Recht gilt Friedrich heute als ein Vater der Moderne, besonders der abstrakten Kunst. Lyonel Feininger hat Friedrichs Landschaftsformen als spirituelle wahrgenommen und weiter reduziert, und wenn man so will, ist Kasimir Malewitschs schwarzes Quadrat auf weißem und auf schwarzem Grund die letzte, in der Fläche mögliche Zusammenfassung einer Landschaft bei Tag und bei Nacht. Sie beherbergt den Menschen als Geschöpf nicht mehr. Er ist nur noch mit dem Geist darin, als wäre er selbst Schöpfer der Gestirne und ihres Wandels. Wir kennen die Kehrseite dieses zweifellos großartigen Selbstgefühls von dem Dichter Samuel Beckett, denn dieser beschrieb das losgelöst Geistige wie ein quälendes Delirium, das an den Rand des Nichts führt.

Die Kunst unserer Tage ist nicht denkbar ohne Auseinandersetzung mit diesem Dilemma. Für mich ist, was Hubertus von der Goltz mit seinen Arbeiten vermittelt, eine hierin angesiedelte Metapher. Er setzt den fleischlichen Menschen in die vom Fleischlichen entleerte Sphäre seiner eigenen Konstruktionen sozusagen spaßeshalber ein, auf dass er sich darin auf den Weg mache. Das geschieht in wenigen, typisch gewordenen Varianten und Materialien, formal ausgefeilt und mit einer Selbstverständlichkeit, als gäbe es nur diese eine Konstellation künstlerisch zu bedenken. Und in der Tat hat sie sich in seinen vielen Schaffensjahren weder intellektuell noch ästhetisch abgenutzt. Es ist das große Plus dieses Künstlers, dass er Humor hat, der zur rigorosen Reduktion seiner Arbeiten hinzutritt, sodass sie eingängig werden.

Hubertus von der Goltz hat die zu ihm gehörige Bildsprache mit seinem Lebensthema Balance früh gefunden. 1941 in Ostpreußen, der damals so genannten Kolonie , geboren, musste er als kleiner Junge bei Kriegsende mit seiner Familie flüchten. Als 20-Jähriger begann er eine Klavierbauer-Lehre in Hamburg, studierte dann Architektur und freie Kunst in Berlin, arbeitete in Architekturbüros und lernte gleichzeitig, den menschlichen Körper als Form zu beherrschen, zunächst im klassischen Kanon. Diese beiden Pole bestimmen seine Kunst: Zum Einen das Wissen um konstruktive Zusammenhänge in der Architektur und im Instrumentenbau: also dort, wo das Ergebnis nicht nur funktionieren, sondern auch stimmen muss im Hinblick auf etwas Geistig-Seelisches, das davon abhängt. Auf der anderen Seite der menschliche Körper mit seinen vielen Möglichkeiten, sich zu stellen oder zu halten: Man kann das konventionell sehen und durch Kunst schon vielfach beglaubigte Haltungen in die Skulptur übernehmen: Haltungen, die das Tektonische zur Wirkung bringen, als sofort ablesbare Disziplin. Man kann aber auch, wie Edgar Degas das so unverhohlen getan hat, durch genaues und häufiges Hinsehen immer zutreffender feststellen, wie der Körper sich in Bewegung verhält: Welche Spielräume der Form er dabei ausmisst, ohne außer Balance zu geraten.

Ich sehe in der Kunst des großen Degas und in dem, was Hubertus von der Goltz tut, Gemeinsamkeiten. Seine Figuren haben sich aus einem klassischen Kanon heraus entwickelt. Sie wirken frappierend natürlich und unprätentiös, so überzeugend, das man sie von fern wohl mit wirklichen Menschen verwechseln könnte. Das liegt nicht an einem Naturalismus der Form, denn dieser ist immer hölzern und trocken, sondern an der Fähigkeit des Künstlers, bestimmte Bewegungszusammenhänge, die ja immer ein Ablauf in der Zeit sind, auf eine Linie zu reduzieren, einen Körper-Umriss von höchster Lebendigkeit. So etwas ist nur möglich im Ergebnis einer langen Arbeits- und Lebenserfahrung. Es kommt bescheiden daher: Das Einfache, das schwer zu machen ist. Schwer zu machen auch im Handwerklichen: Hubertus von der Goltz wurde international vor allem bekannt durch seine großformatigen, a rchitektur- und landschaftsbezogenen Arbeiten, von denen wenige Modelle und Entwürfe in dieser Ausstellung gezeigt werden: hoch in der Luft und - anders als hier in der Galerie - über dem tosenden Verkehr des wirklichen Lebens balancierende Figuren, die trotz ihrer Schwere leicht wie Scherenschnitte wirken. Das Vorgehen für ein solches Ergebnis ingenieurmäßig auszuklügeln erfordert, wenigstens vom Zeitaufwand her, die größte Aufmerksamkeit des Künstlers. Auch das gehört zur Balance, die zu finden ist, nicht nur die Bildformulierung selbst in die Welt zu setzen.

Diese wird im Übrigen fast überall sofort verstanden: Hubertus von der Goltz ist einer der wenigen heutigen Künstler, die mit ihren Arbeiten im besten Sinne populär sein können. Der Scherenschnitt, auf den er sich formal bezieht, ist als Kunstform unter den Jungen wieder verbreitet, wie auch anderes Methodische, was jeder aus seiner Kinderstube kennt: Er hat da das Seine zu einem frischen Wind in der nachgewachsenen Szene beigetragen und gehört so mittlerweile selbst zu jener Art Wurzelwerk, auf dem die Jungen tanzen in der Annahme, es seien keine Wurzeln, die der Baum ins Licht streckt, weil sie immer noch grün ausschlagen.

Katrin Arrieta