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„Balancen“ von Hubertus von der Goltz

„Es ist nicht wichtig, das Ziel zu erreichen, es ist wichtig, auf dem Weg zu bleiben...“

Alle Arbeiten des Hubertus von der Goltz haben ein Gemeinsames. Andere Bildhauer der Gegenwart mögen sich der abstrakten Form, dem losgelösten ästhetischen Ausdruck zuwenden, für v.d. Goltz bleibt bildende Kunst, allemal in ihrem schöpferischen Prozess am Menschen orientiert.

Eine chronologische Betrachtung seiner Arbeiten stößt allerdings auf veränderte Schwerpunkte in der Thematik und eine Veränderung der Art, den Betrachter seiner Kunst einzubeziehen. Die beabsichtigte Aussage der Produkte und die künstlerische Produktion selbst werden abstrakter, lösen sich mehr und mehr von konkreten Individuen; die Kategorie Mensch tritt zunehmend in den Vordergrund.

In den früheren Arbeiten manifestiert sich das durchgehend thematisierte Verhältnis zwischen Mensch und Raum oder weitergehend zwischen Mensch und Umfeld in einem starken Bezug zu dargestellten Personen. Räumliche Gestaltungselemente, Übergänge zwischen eigentlicher Darstellung von Menschen und deren Präsentation im Raum sind nicht bloßes Beiwerk oder einfach funktional bestimmt, sondern sind als ergänzende Charakteristika nachgebildeter Personen gemeint. So erhalten Sockel oder Säulen, Spiegel oder angedeutete Käfige eine besondere Bedeutung in der künstlerischen Interpretation von konkreten Menschen und ihren Umfeld Beziehungen.

Der Übergang zu Silhouetten- und Draht-Männern, die Entpersonifizierung der dargestellten Menschen gehen einher mit einer Umgewichtung der Raumelemente und einer thematischen Verschiebung.  Hubertus von der Goltz will nicht mehr allein Charakterzüge und - darauf bezogen- Andeutungen der Umfeld Beziehungen  einer bestimmten Person gestalten, sondern beginnt sich verallgemeinernd der Mensch - Umfeld - Thematik zu widmen. Das Umfeld, der Raum, Wege, Übergänge und Brücken im Raum stehen als abstrakte Symbole für die Wirrnisse, Hindernisse, die sozialen und psychischen Probleme, die der Mensch zu bewältigen, zu leben hat.

Geburt und Tod, Anfang und Ende dieses Balance-Aktes sind undefinierbar, liegen im Nichts. Ein konkretes Ende oder Ziel beinhaltet keinen qualitativen Sprung gegenüber dem Anfang oder Ausgangspunkt. Ende und Anfang sind gleich.

Für Hubertus von der Goltz sind der Weg zwischen den Endpunkten und der Prozess seiner Bewältigung die Thematik, nicht der Ursprung oder das Ziel.

Auf diesem Hintergrund erhalten Objekte bzw. Objekttitel wie „Überquerung“, „Um-Weg“, „Jeder für sich“ oder „Aus dem Nichts“ ihren besonderen Inhalt.

Die Stilisierung der Figuren, die Reduktion der Gestaltung auf einfachere Mittel und Materialien verweisen dabei auf eine veränderte Rolle des Betrachters. Ihm soll nicht mehr möglichst eindeutig die Interpretation des Künstlers vorgestellt, gleichsam suggeriert werden. Er ist selbst gefordert, seine Interpretation, seine Sinngebung zu leisten. Die Botschaft des Künstlers beschränkt sich darauf, den Balanceakt und den Weg in den Vordergrund zu stellen, ihnen als solchen Sinn zuzuschreiben. Damit unterläuft Hubertus von der Goltz einen Wesenszug westlicher Kosmologie, den sie seit ihren Anfängen besaß und weiterentwickelt hat, ohne ihren Rahmen im künstlerischen Ausdruck zu verlassen. Westliche Kosmologie ist zielorientiert. Nicht das Leben als solches hat einen Sinn, sondern es ist allein  als Mittel zum Zweck, zur Erreichung diesseitiger oder jenseitiger paradiesischer Früchte von Bedeutung. Im Denken und Verhalten werden Probleme und Wirrnisse auf dem Weg nach dem Motto „seek and destroy“ abgehandelt. Den Prozess des Bewältigens selbst zum kontinuierlichen Inhalt, zum fortdauernden Sinn des Lebens zu machen, ist in der westlichen Kosmologie nicht angelegt, wohl aber in den Arbeiten von Hubertus von der Goltz.

Fritz Tiemann
1985